Amichien Bonding - Sprechen sie hündisch?
von Angela Weber - 2002 -
überarbeitet im Juli 2008
Vorbemerkung: Ich erlaube mir die Sichtweise Fennels hier weitgehend unkritisch in Bezug auf den Rangordnungs- und Dominazbegriff darzustellen. Wenn Sie an einer guten literarischen Auseinandersetzung mit dem Dominanzbegriff interessiert sind, empfehle ich uneingeschränkt das Büchlein: "Dominanz - Tatsache oder fixe Idee" von Barry Eaton.
Ich möchte betonen, dass ich persönlich in meiner praktischen Arbeit Jan Fennels Lebensphilosophie nicht teile, und diese lediglich als eine von zahlreichen möglichen und vorhandenen Anschauungsweisen im Zusammenleben mit dem Hund begreife.
Vielleicht ist Ihnen Monty Roberts, besser bekannt als der Pferdeflüsterer ein Begriff. Roberts verfeinerte über Jahre eine artgerechte Methode, mit Pferden erfolgreich zu kommunizieren.
Die engagierte Hundefreundin Jan Fennell hat sich von Monty Roberts inspirieren lassen und diese Form der Kommunikation auf die Hundeerziehung übertragen. Sie entwickelte über Jahre hinweg das Amichien Bonding, eine Methode, um mit dem Hund in einer für ihn verständlichen Sprache, Mimik und Gestik zu kommunizieren.
Mir sei die Anmerkung erlaubt, dass Jan Fennel hier keineswegs das Rad neu erfunden hat. Die unten beschriebenen "Lebensrituale" sind fachkundigen Hundefreunden aus anderen Zusammenhängen unlängst bekannt.
Das Leben in einem Hunderudel bzw. in einer Hundegruppe ist streng organisiert und besteht aus vielen Ritualen, die ein friedliches Zusammenleben erst ermöglichen.
Den wichtigsten Punkt, den sich jeder Hundeliebhaber vor Augen führen muß, ist:
HUNDE SIND KEINE DEMOKRATEN
Hunde leben in einer strengen Hierarchie, dies wird vom Menschen oft unterschätzt, bzw. vergessen, womit Missverständnisse in der Kommunikation vorprogrammiert sind.
Hunde brauchen einen festen Platz in der Gruppe, um ausgeglichen leben zu können.
Nach Fennel ist der Mensch und dessen Familie als Hundehalter für den Vierbeiner sein "Rudel", welches von selbigem kompetent und klar dominiert werden muss. Nicht mit Gewalt und nicht mit Härte, wohl aber mit Konsequenz. Ein guter Rudelführer – Alpha – ist weder ungerecht, noch aggressiv oder gar gewalttätig. Er ist vielmehr besonnen, selbstsicher, intelligent, gesund und erfahren.
Er kontrolliert das Rudel, sichert das Überleben, sorgt für Nachwuchs und organisiert die Jagd.
Als Alpha demonstriert er durch Rituale und nicht durch Kampf permanent seine Stärke.
Was aber haben wir uns unter ritualisierten Verhaltensweisen vorzustellen, und wie können wir dieses Wissen auf den Umgang mit Hunden anwenden?
Vier HAUPTRITUALE sind nach Fennell das Grundgerüst für ein funktionierendes Rudel:
Die Begrüßung
Untergeordnete Rudelmitglieder dürfen nur nach Aufforderung in den Privatbereich (Individualabstand) des Ranghöheren eindringen. Entweder wird das Rudelmitglied ignoriert, zurückgewiesen oder die Annäherung wird akzeptiert. Dieses Verhalten wird nach jeder noch so kurzen Trennung immer wieder aufs neue durchgespielt, selbst wenn der Alpha nur für wenige Minuten vom Restrudel getrennt war.
Bei diesem Ritual werden immer aufs Neue die Eckpfeiler eines Rudels gefestigt:
· Wer ist der Anführer des Rudels
· Wer schützt die Gruppe vor Gefahren
· Wer führt die Jagd an
· Wer frißt zuerst
Die Jagd
Der wichtigste Bestandteil im Leben eines Hundes bzw. Wolfes ist die Jagd. Denn nur durch Nahrung ist ein Fortbestand der Spezies gewährleistet. Hierbei übernimmt der Alpha die entscheidende Rolle. Er teilt die Mitglieder ein, entscheidet was gejagt wird und er beendet die Jagd (durch Abbruch oder Töten).
Die Futteraufnahme
Der Alpha frißt zuerst, da er seiner Stellung gemäß Kraft braucht, um das Rudel sicher zu führen. Er signalisiert zudem, wann die anderen Mitglieder fressen dürfen.
Und nur diese absolute Ordnung verhindert Aggression (Kampf), die jedes Rudelmitglied möglichst vermeiden möchte, da unnötige Verletzungen zum Tode führen können.
Der Umgang mit Gefahr
Zwar kann jedes Mitglied des Rudels vor Gefahr warnen, aber der Alpha entscheidet was gefährlich ist und was nicht und wie damit umgegangen wird.
In der Hundeausbildung nach dem Amichien Bonding werden diese vier Rituale folgendermaßen umgesetzt:
Die Begrüßung
Nach jeder Trennung, auch wenn sie noch so kurz ist, dürfen sie ihren Hund auf gar keinen Fall begrüßen.
Wenn sie die Wohnung, bzw. den Raum betreten, müssen sie Ihren Vierbeiner vollkommen ignorieren. Das bedeutet, das sie weder mit ihm sprechen, noch dass sie ihn ansehen.
Das hört sich leicht an? Ist es aber nicht, denn die meisten Hunde werden auf vielfältigste Art und Weise versuchen ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Das kann - über bellen, anspringen, kneifen bis hin zum Zerstören von Eigentum etc. - alles sein.
Beginnen sie mit diesem Trainingsprogramm daher nur, wenn sie konzentriert, ausgeglichen und gut drauf sind. Ansonsten fehlt ihnen die nötige Nervenstärke.
So könnte diese Trainingseinheit beispielsweise ablaufen:
Gehen sie in die Küche, machen sie sich einen Kaffee, setzen sie sich in aller Ruhe an den Tisch und nehmen Sie sich eine Auszeit.
Am besten suchen sie sich einen Punkt an der Wand, den sie anschauen, da sie ihren Hund weder ansehen, noch anfassen sollen, genau so lange, bis ihr Hund sich zurückzieht.
Dann erst rufen sie ihn und belohnen das erwünschte Verhalten durch Leckerchen, Kraulen, ein gemeinsames Spiel o.ä.
Schubsen sie ihren Hund nicht weg, wenn er sie belästigt oder anspringt, sondern drehen sie sich ruhig, aber bestimmt weg. Falls ihr Hund sie arg bedrängt und kratzt und schnappt, dann planen sie dies bitte vorher ein, indem sie sich dicke Kleidung anziehen, damit sie aufgrund eines schmerzvollen Reizes nicht falsch reagieren. Manche Vierbeiner akzeptieren ihr Verhalten schon nach wenigen Sekunden, andere quälen ihre Dosenöffner fast eine Stunde lang mit ihrem aufdringlichem Gebaren.
WICHTIG: Wenn Sie nach dem Amichien Bonding mit ihrem Hund arbeiten möchten, dann gewöhnen Sie es sich ein für allemal an, sich dementsprechend zu verhalten, egal ob sie vom Einkaufen wiederkehren oder lediglich von der Toilette kommen. Alles andere verwirrt ihren Hund nur unnötig.
Die Jagd
Der tägliche Spaziergang, den wir mit unserem Vierbeiner unternehmen, ist als Jagdersatz zu betrachten.
Wir als Alpha bestimmen bei diesem täglichen Ritual, die Richtung und die Dauer des Jagdausfluges. Dies beginnt bereits beim Anleinen in der Wohnung. Der Hund, der sich möglicherweise wie toll benimmt, weil er endlich hinaus möchte, wird ignoriert, bis er sich schließlich beruhigt hat. Dann erst wir er angeleint, und darf hinter uns die Wohnung verlassen.
Zeigt der Hund an der Leine unangemessenes Verhalten, vollführen wir in ruhiger Art und Weise einen Richtungswechsel, stürmt er erneut voran, wiederholen wir den Richtungswechsel. Gebärdet sich der Hund allzu hysterisch an der Leine, brechen wir den Spaziergang ab, nehmen eine Auszeit.
Am Bestimmungsort angelangt, bestimmt der Besitzer die Richtung des Spaziergangs. Hierbei ist es wichtig, dass der Hund auf uns achtet, und nicht eigene Wege geht, bei denen er unter Umständen gar aus unserem Blickfeld verschwindet. Dies lässt sich sehr gut mithilfe einer Schleppleine trainieren.
Voraussetzung für diese Übung sind Geduld und Konsequenz. Ein Hund, der gerne eigene Weg einschlägt, wird dieses selbstbelohnende Verhalten nicht von heute auf morgen abstellen, planen sie daher einige Wochen, oder gar Monate Training ein.
Die Futteraufnahme
Der Rudelführer, also sie als Hundebesitzer essen grundsätzlich vor ihrem Hund und nicht umgekehrt. Geben sie ihrem Hund nichts von dem zu essen, was sie gerade auf dem Teller hatten, denn kein Canide gibt freiwillig etwas von seiner wertvollen Beute ab. Sollte es ihnen aus irgendwelchen Gründen nicht möglich sein, vor ihrem Hund zu essen, so gehen sie folgendermaßen vor:
Bereiten sie das Futter auf einer erhöhten Anrichte vor, legen sie sich selbst unbemerkt etwas essbares daneben. Essen sie gemütlich ihren Keks o.ä. – danach erst geben sie ihrem Hund seinen Futternapf, vorausgesetzt er gebärdet sich ruhig, und verlangt nicht die Herausgabe des Futters von ihnen, andernfalls ist ein Tag ohne Futter durchaus zu vertreten.
Anstelle der täglichen Fütterung Zuhause, empfiehlt sich der Einsatz eines Futterbeutels.
Der Umgang mit Gefahr
Eine alltägliche Situation:
Es klingelt an der Haustür. In der Regel schlägt ihr Hund nun Alarm. Da sie jedoch befinden, das der ankommende Besuch keine Gefahr darstellt, bleiben sie ruhig, loben ihren Hund kurz für das Anschlagen, und schicken ihn dann ruhig und bestimmt weg, z.b. auf seinen Platz. Dies kann eintrainiert werden, indem sie den Hund mittels eines Leckerchens von der Tür weglocken. Der Besuch sollte eingeweiht sein, und den Hund ignorieren. Fühlt er sich durch den Hund jedoch allzu stark belästigt kann eine leichte Leine, die sie unter ihrer Kontrolle haben Abhilfe schaffen. Ist der Besucher möglicherweise vielleicht nicht in der Lage den Hund zu ignorieren, so sollten sie den Hund in ein anderes Zimmer geleiten. Hierbei ist unbedingt zu beachten, dass diese Handlung positiv verknüpft wird, durch ein Leckerchen oder Spiel, denn er soll dies auf keinen Fall als Bestrafung empfinden.
Quelle:
Mit Hunden sprechen - Jan Fennell